Friedensnobelpreis 1902: Élie Ducommun — Charles Albert Gobat

Friedensnobelpreis 1902: Élie Ducommun — Charles Albert Gobat
Friedensnobelpreis 1902: Élie DucommunCharles Albert Gobat
 
Élie Ducommun wurde für seine Arbeit für das Internationale Friedensbüro ausgezeichnet, Charles Gobat für seine Tätigkeit in der Interparlamentarischen Union.
 
 Biografien
 
Élie Ducommun, * Genf 19. 2. 1833, ✝ Bern 7. 12. 1906; 1862-65 Kanzler des Kantons Genf, 1868 Mitherausgeber der Zeitung »Les États-Unis d'Europe«, 1869 Gründung der Schweizerischen Volksbank, 1873-1903 Generalsekretär der Jura-Simplon-Bahn, 1891-1906 Leiter des Internationalen Ständigen Friedensbüros.
 
Charles Albert Gobat, * Tramelan (Kanton Bern) 21. 5. 1843, ✝ Bern 16. 3. 1914; 1882-1906 Erziehungsminister Kanton Bern, 1890-1914 Abgeordneter im Schweizer Nationalrat, 1892-1914 Generalsekretär des Zentralbüros der Interparlamentarischen Union, 1906-09 Generalsekretär des Internationalen Ständigen Friedensbüros, 1906-12 Innenminister Kanton Bern.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Die politisch neutrale Schweiz ist heute Sitz vieler internationaler Organisationen, deren Ziel und Aufgabe die Beilegung von Konfliktfällen ist. Diese Rolle verdankt das Land dem Umstand, dass sich viele ihrer Bürger fast schon traditionell dazu berufen fühlen, für Frieden und internationale Verständigung einzutreten. Als Vorbilder gelten Élie Ducommun und Charles Albert Gobat.
 
 Unprätentiöser Friedenspolitiker
 
Ducommuns Wirken für den Frieden war eher unauffällig, aber effektiv. Nicht durch spektakuläre Aktionen, sondern durch beharrliches Arbeiten wurde er zu einem Pionier der Friedensbewegung. Schon sehr früh machte er auf kommunaler Ebene politische Karriere. Mit 29 Jahren war der gelernte Journalist und überzeugte Liberale Kanzler des Kantons Genf. Nach einer verlorenen Wahl kehrte er drei Jahre später in seinen angestammten Beruf zurück. Als Herausgeber der politischen Zeitung »Progrès« (französisch; Fortschritt) kam er mit der damals in einigen westeuropäischen Staaten aufblühenden Friedensbewegung in Berührung. Der 1867 von dem Franzosen Frédéric Passy (Nobelpreis 1901) gegründeten »Internationalen Liga für Frieden und Freiheit« stellte Ducommun seine journalistischen Fähigkeiten zur Verfügung, indem er die Mitherausgeberschaft der Zeitschrift der Liga mit dem programmatischen Titel »Les États-Unis d'Europe« (französisch; Die Vereinigten Staaten von Europa) übernahm.
 
Das Ziel des internationalen Friedens verlor Ducommun nicht aus den Augen, auch wenn ihn zeitweilig andere Geschäfte mehr bewegten. 1869 gründete er die noch heute einflussreiche »Schweizerische Volksbank« — nicht nur aus Profitinteresse, sondern vor allem, um den Schweizer Arbeitern eine Bank mit für sie günstigen Konditionen zu bieten. Dies entsprach Ducommuns Überzeugung, dass der soziale Friede in einem demokratischen Gemeinwesen entscheidend von der finanziellen Absicherung der Arbeiterschaft abhängt. Neben seiner Tätigkeit als Abgeordneter widmete sich Ducommun in den folgenden Jahren dem zeitraubenden Posten des Generalsekretärs der Jura-Simplon-Eisenbahn.
 
Als die Eisenbahnstrecke 1887 fertig gestellt war, konnte der Friedenspolitiker Ducommun wieder stärker in Erscheinung treten. Entscheidend für sein weiteres Wirken war 1891 die Teilnahme an der 3. Konferenz der »Interparlamentarischen Union« in Rom. Diese aus europäischen Parlamentariern gebildete Friedensorganisation war zwei Jahre zuvor von den späteren Friedensnobelpreisträgern Frédéric Passy (1901) und William Cremer (1903) gegründet worden. Bei diesem Treffen wurde Ducommun an die Spitze des neu eingerichteten »Internationalen Ständigen Friedensbüro« mit Sitz in Bern gestellt. Hier kam ihm die Aufgabe zu, sozusagen als Geschäftsführer des Friedens die vielfältigen Aktivitäten der zahlreichen nationalen, manchmal rivalisierenden Friedensorganisationen zu koordinieren. Unermüdlich und auf ehrenamtlicher Grundlage war Ducommun bis zu seinem Lebensende für das Büro tätig. Diese Arbeit speziell war es, die das Nobelpreiskomitee 1902 mit der Verleihung des Nobelpreises an Élie Ducommun auszeichnete.
 
 Sachwalter des Friedens
 
Ducommuns Nachfolger wurde 1906 Charles Albert Gobat. Wie dieser war Gobat über die »Interparlamentarische Union« zu einem aktiven Friedenspolitiker geworden. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits eine sehr abwechslungsreiche Karriere hinter sich. Er war zunächst als Rechtsanwalt tätig und lehrte an den Universitäten von Bern und Basel. Gobat war Erziehungs- und Innenminister in der Kantonsregierung von Bern und ab 1890 Mitglied des Schweizer Nationalrats.
 
1889 gehörte Gobat in Paris zu den Teilnehmern der Gründungsversammlung der »Interparlamentarischen Union«. Deren Eintreten für den Frieden durch die Einsetzung von Schiedsgerichten in Fällen von internationalen Konflikten wurde für den Schweizer Juristen und Politiker künftig zum Mittelpunkt seines öffentlichen Wirkens. 1891 gehörten Ducommun und Gobat zur Schweizer Delegation bei der 3. Konferenz der »Interparlamentarischen Union« in Rom. Die von Gobat organisierte Nachfolgekonferenz fand unter seinem Vorsitz 1892 in Bern statt. Hier wurde ihm von den europäischen Abgeordneten die Leitung des neu gegründeten Zentralbüros der Union übertragen. Diesen Posten, zu dem auch die Herausgabe der monatlich erscheinenden Zeitschrift »La Conférence Interparlementaire« (französisch; Die interparlamentarische Konferenz) gehörte, bekleidete Gobat bis zu seinem Tod im Jahr 1914. Mit der Übernahme von Ducommuns Friedensbüro nach dessen Tod 1906 wurde Gobat zum einflussreichsten europäischen Sachwalter des Friedens.
 
Gobat gehört zu jenen Friedensnobelpreisträgern, für die die Verleihung einen besonderen Ansporn bedeutete, sich weiter und noch intensiver für den Frieden zu engagieren. Im Gegensatz zu Ducommun beschränkte er sich nicht darauf, die Interessen der von ihm geleiteten Organisationen zu vertreten. Mehrfach mischte er sich in aktuelle internationale Konflikte ein, wobei er von dem Renommee, das ihm der Preis verschafft hatte, zu profitieren wusste. Gleichzeitig wurden aber auch die Grenzen der Möglichkeiten des Pazifismus in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg deutlich. So verurteilte Gobat den um Besitzungen in Nordafrika geführten Krieg Italiens gegen die Türkei (1911), ohne konkret etwas bewirken zu können. Vergeblich war auch sein Eintreten für eine Entspannung im deutsch-französischen Verhältnis, das wegen der beiderseitigen Ansprüche auf Marokko stark belastet war (1905/06 und 1911).
 
Hervorgetreten ist Gobat auch durch vielfältige publizistische Aktivitäten. Ein Bestseller wurde seine »Geschichte der Schweiz« (1900). In seinem 1911 erschienenen Buch »Le Cauchemar d'Europe« (französisch; Der Alptraum Europas) kritisierte er den Rüstungswettlauf der europäischen Großmächte. Den Ausbruch des Ersten Weltkriegs musste Gobat nicht mehr miterleben. Er starb am 16. März 1914 in dem Augenblick, als er die Eröffnungsworte zu einer Tagung des Internationalen Friedensbüros in Bern sprechen wollte.
 
H. Sonnabend

Universal-Lexikon. 2012.

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